Synchron: Worauf kommt es dabei an?

Star-Sprecherin Alexandra Marisa Wilcke über die „unsichtbare Zunft“, Gelassenheit bei der Akquise und eine Branche unter Zeitmangel

Ihr «Erweckungserlebnis» hatte Alexandra mit 16 Jahren in der Laienspiel-AG ihres Gymnasiums, wo das erst kurz zuvor mit ihrer Mutter nach West-Berlin gezogene Schauspielerkind für den Beruf ihres Vaters endgültig Feuer fing. Und ihre Darstellung der Antigone muss derart mitreißend gewesen sein, dass die zufällig anwesende Schauspiellehrer-Koryphäe Maria Körber ihr über die AG -Leiterin ausrichten ließ: «Wenn die nach der Schule Schauspielerin werden will, soll sie sich bei mir melden!» Dabei stand das dunkelhaarige Mädchen schon lange vor dieser Zeit auf Bühnen, vor der Kamera und auch vor dem Mikrofon: Sie spielte in einer Fernsehserie, zusammen mit ihrem Papa bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg, und synchronisierte – doch das alles wohl nur nebenbei, und weil es sich durch das «Schauspielerleben», in welchem sie aufwuchs, gerade so anbot. Doch erst als Jugendliche packte es sie richtig, sodass sie nach dem Abitur, und parallel zu einem erstenTheatervertrag an der Tribüne in Berlin tatsächlich bei besagter Maria Körber anrief, um auf deren Schauspielschulefortan für ihren Traumberuf fit gemacht zu werden. Das Geld für die private Ausbildung verdiente sie sich mit «Tribünen»-Engagements (neben Berliner Theatergrößen wie Edith Hancke und Klaus Sonnenschein) und ihrer wachsenden Tätigkeit beim Synchron. Nach ein paar wenigen Ensemble-Terminen wurde sie von diversen RegisseurInnen «herausgepickt» und mit größeren Rollen betraut, sodass sie heute, nach 30 Jahren, mittlerweile auf eine beachtliche Palette von Stars blicken kann, denen sie im Lauf der Jahre ihre Stimme lieh: Eva Green und Charlize Theron sind ebenso darunter, wie Rosamund Pike oder Julie Delpy. Als Pocahontas in der gleichnamigen Disney-Verfilmung konnte sie zudem ihre Gesangsfähigkeiten unter Beweis stellen. Obwohl sie dem Theater (zum Beispiel mit Peter Maffay in Taballuga und Lily, mit eigenen Inszenierungen oder auch selbstentwickelten Liederabenden) immer treu blieb, ist Synchron aber seit Langem ihr erfolgreichstes Genre.

Alexandra, Du bist seit vielen Jahren Synchronschauspielerin. Was reizt Dich an dieser Tätigkeit?

Synchron gibt mir die Möglichkeit, unterschiedlichste, auch extreme Rollen zu spielen, und damit viele Facetten meiner Fähigkeiten auszuloten. Wenn ich mich nur auf Theater oder Film spezialisieren würde, wäre das in dieser Anzahl und Diversität sicherlich unmöglich. Es gibt Regisseure, die mich ausschließlich auf tragische, und solche, die mich auschließlich auf komische Rollen besetzen, und diese Bandbreite reizt mich. Natürlich ist die Arbeit am Theater profunder, man hat mehr Zeit und auch Freiheit, sich eine Rolle wirklich zu erarbeiten. Beim Synchron ist stattdessen eine schnellere Auffassungsgabe gefragt. Es ist natürlich eine Herausforderung, dabei mit sich angeschlossen zu bleiben, also nicht nur mit dem Kopf zu sprechen, sondern seinem ganzen Körper und Sein wie beim normalen Spielen auch. Zudem genieße ich es sehr, zuhause in Berlin arbeiten zu können, was für Berliner Schauspieler nicht unbedingt selbstverständlich ist.

Hatte Synchron gegenüber anderen beruflichen Tätigkeiten bei Dir immer Priorität?

Früher, als ich angefangen habe, hatte das Theater Vorrang. Ich bin allerdings nie in ein festes Engagement gegangen, deswegen war ich froh, jeweils nach einem Gastvertrag zurück nach Berlin und zum Synchron gehen zu können. Das schöne war auch: Als ich eine Beziehung in München hatte, konnte ich auch dort synchronisieren!

Hat sich die Synchronszene in den letzten Jahren gewandelt?

Früher haben Kollegen aus der Film- oder Theaterszene auf Synchronschauspieler eher hinuntergeblickt. Das hat sich gewaltig geändert! In den vergangenen Jahren sind sehr viele Schauspieler auf diesen Markt geströmt. Und das hat seinen Grund: Wenn Du im Synchron gut unterwegs bist, kannst Du anständig davon leben. Selbstverständlich sind die Gagen nicht so hoch wie bei Film und Fernsehen, aber Synchrontermine sind oft weitaus kontinuierlicher. Aber wir verkaufen ja auch nicht nur unsere Arbeitszeit und unser Können, wir verkaufen auch die Rechteverwertung, die Zweit- und Drittnutzung unserer Stimme. Ein Beispiel: Ein Kinofilm für Kinder läuft hervorragend, dann nimmt der Produzent die Tonspur, und macht ein Hörspiel daraus, bezahlt bestenfalls noch einen Schauspieler als Erzähler dafür extra. Auch für die DVD- oder Streaming-Auswertung eines Films bekommt ein Schauspieler keine zusätzliche Gage, obwohl der Produzent mit Deiner Stimme nochmals Geld verdient. Oder der Fakt, dass eine deutsche Synchronisation eben auch in der Schweiz oder in Österreich läuft. In der Werbung z.B. würde es für jedes Land ein Buy Out extra geben. Vor zwanzig Jahren war es zudem noch üblich, Hauptrollen miteinander im Studio aufzunehmen, wir haben auch schon mal mit drei, oder vier Leuten vor dem Mikro gestanden. Heute, wo viel Zeit und Geld gespart werden muss, werden die Takes, die ein Schauspieler zu sprechen hat, einzeln hintereinander weggearbeitet, man nennt das x-en. Man steht allein im Studio, und bekommt von seinen Partnern dementsprechend nichts mit. Das ist ein wenig schade, weil das natürlich auf Kosten des Zusammenspiels im Dialog geht. Da ist die Regie stärker gefragt, zu hören, ob der Dialog funktioniert. Tragischerweise leidet die Branche überhaupt unter großen Sparzwängen, und daher auch unter Zeitmangel. Die Dialogbuch-Autoren z.B. stehen unter riesigem Druck, immer schneller abzuliefern. Wenn wir schlechte Bücher im Atelier haben, müssen wir das oft genug nachkorrigieren, und das unbezahlt. Und auch die Sprecher müssen immer kurzfristiger verfügbar sein, weil das Material häufig spät kommt. Das führt dazu, dass man sein Leben schwerer planen kann. Mit den Streamingdiensten sitzt einem zudem häufig die Drohung im Nacken, eventuell umbesetzt zu werden, wenn man in Urlaub fährt oder Theater in einer anderen Stadt spielen möchte o.ä. Dieser unberechenbare Druck ist eine Entwicklung, die ungesund ist.

Wie kurfristig musst Du denn in der Regel verfügbar sein?

Natürlich bekommt man längerfristige Anfragen, wenn es große Rollen betrifft, aber auch nur dann. Auch wenn ich eine durchgehende Rolle in einer Serie habe wird eine Voranmeldung gemacht. D.h. ich werde im Voraus über die Blöcke (Wochen in denen aufgenommen wird) informiert; damit weiß ich aber noch lange nicht, wieviele Tage ich dann tatsächlich beschäftigt bin. Letztendlich bekommt man den Termin von heute auf morgen. Ich spreche allerdings grundsätzlich nicht mehr als 150 Takes am Tag für eine Produktion in einem Atelier. Es wird dann m. M. nach für alle Beteiligten einfach schwerer sich gegenseitig noch aufmerksam zuzuhören.

Verwaltest Du Deine Termine selbst?

Ja, ich meine mir damit größere Freiheit und Flexibilität zu erhalten. Es kann passieren, dass ich, wenn ich eine Voranmeldung habe, den Aufnahmeleiter anrufe und frage, ob ich an einem bestimmten Tag frei haben kann. Über solche Terminfragen möchte ich gerne eigenständig bestimmen, und selbst mit den zuständigen Leuten sprechen. Auch, weil ich grundsätzlich gerne mit Leuten direkt rede.

Wie sieht Dein Alltag aus?

Gibt es den überhaupt? Nein, es gibt für mich keinen Tag, von dem ich sagen kann, er sei prototypisch für alle. Ausnahme ist mein Yoga, das ich jeden Morgen mache, und das mir Kraft für den Tag gibt. Wenn ich viel Zeit habe, absolviere ich das Aufwärmen der Stimme zuhause, ansonsten im Auto auf dem Weg ins Studio. Für mich ist es wichtig, dass im Atelier zwischen allen Beteiligten eine gute Stimmung herrscht, also zwischen dem Regisseur, dem Tontechniker, dem Cutter und mir als Sprecherin. Jeder, der an diesem Film mitarbeitet, ist wichtig, und ich nehme sie oder ihn ernst. Dann kommt es darauf an, gegenwärtig zu sein, konzentriert auch das aufzunehmen, was der Regisseur möchte, aber auch auf das, was Cut und Ton mir sagen, darauf zu hören, und es möglichst gut umzusetzen. Gleichzeitig muss ich mir auch genügend Raum für mein Spiel nehmen, und eventuell einfordern, die Originalszene noch einmal zu sehen – um den Take nochmal zu prüfen, wo genau die Sprechakzente liegen, oder weil ich die Interpretation noch einmal hören muss. Da gibt es viele Gründe. Ist der Text schwierig zu sprechen, übe ich ihn vorher kurz, sodass ich ihn „in der Schnauze habe“. Dann läuft das Startband ab und die Aufnahme beginnt. Darauf konzentriere ich mich vollkommen. Es ist eine hohe Aufmerksamkeit, die von mir verlangt wird, bei der ich trotzdem versuche, immer locker zu bleiben. Ich versuche unmittelbar vor dem Take den Text auswendig zu lernen, das hilft mir ungemein. Was die Arbeit herausfordernd macht: Auch bei größeren Rollen komme ich ins Studio, und weiß mitunter überhaupt nicht, was genau ich da heute spielen muss. Wenn ich eine Hauptrolle spreche, egal ob Kino oder Serie, frage ich bei der Firma an, ob ich das Original vorher in Gänze sehen kann. Das findet in der Regel im Studio statt, ist aber tatsächlich nur bei großen Rollen möglich und sinnvoll. Diese Vorabschau gehört zu meinem Berufsverständnis. Viele Sprecher wissen allerdings gar nicht mehr, dass das geht oder nehmen sich nicht die Zeit. Eine große Rolle ist natürlich spannender, als wenn ich mal kurz ins Studio gehe, und nach fünf Minuten wieder draußen bin.

Was sind die speziellen Herausforderungen?

Timing ist gefordert, Rhythmusgefühl für Sprache, Musikalität, die Fähigkeit, Labiale (Mundschließungen) genau zu treffen, mit Pausen, Sprachverzögerungen im Original souverän und glaubwürdig umgehen zu können. Wichtig ist auch, die Klaviatur der eigenen Emotionen zu beherrschen, zu wissen, welche Situation ich innerlich vorstellen muss, um an der richtigen Stelle zu weinen, oder zu lachen - natürlich „in time“. Ich muss wissen, wie ich selber funktioniere. Mehr noch als im Theater, weil das im Synchronstudio durch die Schnelligkeit viel mehr gefordert ist, als im Probenprozess auf der Bühne. Sehr viel früher musste der Schauspieler noch stärker beim Synchronisieren auf die Lippenbewegungen achten, hat mehr Zeit gehabt, um „schnittfrei“ zu sprechen. Das ist nicht mehr so notwendig, da die Technik sich weiterentwickelt hat. Das heißt, man kann viel mehr Feinarbeit dem Cutter überlassen. Ich selber bin aber kein Freund davon, sondern versuche, das immer selbst in der Zusammenarbeit hinzubekommen. Speziell bin ich natürlich gefordert, wenn ich innerhalb einer Rolle Entwicklungen spielen darf, sie herauskitzeln muss. Ich habe ja nur die Stimme und meine Sprache, die Kollegin auf dem Bildschirm aber den gesamten Körper, ihre Mimik, Gestik. Ich muss das alles, was sie da spielt, ins Deutsche transponieren. Gerade deshalb sollte man nicht die Satzmelodie der Originalsprache übernehmen, sondern authentisch bleiben. Bei sich, als Schauspielerin. Zum Beispiel synchronisierte ich Charlize Theron in einem Film, in dem sie eine Lebensspanne zwischen 15 und 35 Jahren darstellte. Ich hatte dort eine unglaubliche Bandbreite an Emotionen zu spielen. Für diesen Film besaß ich für die Synchro fünf Tage Zeit, Charlize Theron für ihre Rolle mehrere Monate. Umso wichtiger ist es, dass ich genau weiß, wie ich funktioniere, wie ich ticke, wie ich alles abrufen kann. Solche Dinge beherrscht man erst, wenn man viel Erfahrung im Synchron besitzt. Aber auch, wenn man sich in seinem Leben mit sich selber auseinandersetzt. Das ist das A und O meiner Meinung nach. Man muss sich nur vorstellen, was wäre, wenn man in seiner emotionalen Bandbreite einen weißen Fleck besäße, etwas in der Emotionsklaviatur, an das man nicht herankäme, es nicht erkennen könne, nicht fühlen wolle. Wenn Du in deinem Tonumfang einen solchen Fleck besitzt, fehlt Dir eine Frequenz, die diesen Umfang schöner, voller machen würde. Für mich war es sehr wichtig, dass ich gerade am Anfang sehr viel Theater gespielt habe. Weil ich dadurch viele dieser Frequenzen langsam in mir entdecken und entwickeln konnte. Und nun habe ich sie in der viel schnelleren Arbeit des Synchron verfügbar. Das ist aber ein Prozess, der nie aufhört.

Fällt es dir leichter, eine SchauspielerIn zu synchronisieren, die Du schon öfter gesprochen hast?

Eine, die ich schon länger begleiten durfte, wird mir immer leichter fallen zu sprechen, da ich bereits ein Gefühl für sie entwickeln konnte. Deshalb schaue ich mir ja auch den Film möglichst vorher an, weil ich ein Gefühl für das Ganze haben möchte, auch für den Bogen, den ich zu spielen habe. Und natürlich ein Gefühl für die Rolle, wie sie von der Schauspielerin im Original gespielt wird.

Was rätst Du jungen und ambitionierten Leuten, die Synchronsprecher werden wollen?

Ich wurde schon von vielen Menschen angesprochen, die sagen, sie hätten eine schöne Stimme und würden gerne Synchronschauspieler werden. Ich rate denen allerdings immer zu einer fundierten Schauspielausbildung, die ich für sehr wichtig halte. Jedenfalls kann ich für mich selber sagen, dass meine Schauspielausbildung mir sehr bei der Tätigkeit vorm Mikro behilflich ist. Natürlich gibt es Kollegen, die beispielsweise als Kinder in diesen Bereich hinein gekommen sind und davon nicht unbedingt viel halten. Sie sind in der ständigen Arbeit damit groß geworden, das ist dann eine andere Entwicklung. Aber manche junge Kollegen denken heute, sie müssten Synchron nicht mit Sorgfalt erlernen, sondern könnten das mal kurz aus dem Ärmel schütteln. Das hört man dann auch im Ergebnis, und es trägt nicht zum guten Ruf der Branche bei.

Wie gehst du damit um, dass das Publikum oft nur die Originalschauspieler wahrnimmt, und die Arbeit der Synchronsprecher, die ja einen nicht unbeträchtlichen Teil der Wirkung ausmacht, meist nicht ausreichend würdigt?

Wir sind lange Zeit als „die unsichtbare Zunft“ bezeichnet worden, und erst dann gut, wenn man uns nicht bemerkt. Wenn eine Synchronisation auffällt, haben wir in der Regel etwas falsch gemacht. Es gibt ja auch leider sehr schlechte Synchronisationen, das brauchen wir gar nicht schön zu reden. Aber auch hier hat sich das Bewusstsein geändert: vielen Leuten fallen die Sprecher heutzutage dann doch im Sinne der Arbeit auf, so dass sie in bestimmten Foren Kommentare zur Synchronisation eines Films oder einer Serie hinterlassen. Das finde ich super, im Guten wie im Schlechten: denn bei übler Synchronisation sollte den entsprechenden Leuten auch auf die Finger gehauen werden! Die „unsichtbare Zunft“ kann allerdings auch von Vorteil sein, weil ich es als Kind mit prominentem Schauspielvater erlebt habe, dass permanent eine Traube von Menschen an einem hängt, wenn man allzu sehr im Scheinwerferlicht steht. Im Synchron kann man sein Privatleben relativ geschützt vor der Öffentlichkeit bestreiten. Mittlerweile mussten wir es vor Gericht erstreiten, im Abspann überhaupt genannt zu werden: Ganz hinten, wenn alle anderen Beteiligten genannt sind, und der Vorhang im Kino zugeht. Das zeugt von geringer Wertschätzung, hat aber natürlich auch mit dem Wunsch nach Austauschbarkeit bei den Firmen zu tun. Es ist ein wenig wie im Musical, wo auch ungern mit den Namen der Darsteller Werbung gemacht wird, damit sie nicht so teuer werden und austauschbar bleiben. Natürlich gibt es in Ausnahmefällen Stammsprecher von Stars, die so mit ihnen verwoben sind, dass sie auch andere Gagen durch Unverzichtbarkeit mehr oder weniger selber bestimmen können. Aber selbst die beste Synchron-Gage ist ein Klacks gegen das, was das Original in einem Blockbuster, zumindest in Amerika, verdient.

Hast du den Eindruck, die Branche ist härter umkämpft, als je zuvor?

Definitiv. Erst einmal gibt es diese ungleiche Gewichtung der Geschlechter, wie überall im Schauspiel. Es gibt viel mehr Männerrollen. Da sind wir im Synchron natürlich abhängig von der Rollenaufteilung dessen, was im Original gedreht wird. Das kann die Branche leider nicht beeinflussen. Dadurch, dass jetzt so viele Neue auf den Synchronmarkt strömen, ist natürlich auch ein viel größeres Angebot an Schauspielern da, wodurch die Gefahr des Dumpings besteht. Es ist auf jeden Fall härter geworden, als in der Zeit, als ich angefangen habe. Damals haben wir vielleicht 200Takes am Tag gemacht, und zwar alle zusammen. Heute schafft man in schlechten Studios knapp das Doppelte. Das ist Akkordarbeit, was da heutzutage geleistet werden soll. Dieses Zusammenstampfen eines Films oder einer Serienrolle auf manchmal einen einzigen Termin, damit möglichst schnell viel „weggehauen“ wird, ist der Qualität nicht unbedingt dienlich.

Betreibst Du eigentlich noch Akquise?

Zeiten in denen nicht so viel los ist, empfinde ich mittlerweile als völlig normal im Synchron. Zum Beispiel, wenn ich mal wieder ein paar Monate Theater gespielt habe, und zurückkomme, ohne eine Serie zu haben. Dann muss ich selbstverständlich die Aufnahmeleiter anrufen, um Ihnen klarzumachen, dass ich wieder verfügbar bin. Das ist Gott sei Dank sehr selten geworden, weil ich auch viel entspannter bin als früher. Ich weiß mittlerweile, dass es dazugehört, wenn man zwei oder drei Wochen mal nicht so gut zu tun hat. Das ist eine Welle, ich muss da nicht gleich in Panik verfallen. Ich kann akzeptieren, dass es so ist, und auch wieder anders wird. Das hat natürlich mit innerem Vertrauen zu tun. Ich sage allerdings auch nicht alles zu, speziell nicht bei Werbung, oder wenn es sich z. B. um Gewaltverherrlichung oder brutale Computerspiele handelt. Das möchte ich nicht unterstützen. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass ich so viele Kinderfilme gemacht habe, und für die Kleinen eine gewisse Verantwortung spüre. Ich stelle mir allerdings auch die Frage: Wieviel Geld brauche ich überhaupt? Muss ich immer mehr Geld verdienen, wenn es nur noch dazu dient, mein Ego zu befriedigen? Wiegt das verdiente Geld die Lebensqualität auf? Wachse ich nur, wenn ich „5000 Rollen“ im Jahr spiele? Wachse ich nicht auch, wenn ich mal „nichts“ tue oder mich ehrenamtlich engagiere? Diese Fragen versuche ich in meinem Leben in den Vordergrund zu stellen, und dabei ganz klar Prioritäten zu setzen, die nicht unbedingt monetär ausgerichtet sind. Denn die Angst, mit der auch gerne gegen uns gespielt wird, diese permanente subtile Angst in unserer Branche, eventuell nicht mehr besetzt zu werden, und deshalb allem zuzustimmen, kommt häufig aus dem Misstrauen oder Zweifeln gegenüber den eigenen Fähigkeiten, und seinem eigenen Schicksal. Und natürlich ist Akquise auch eine Gratwanderung, die nicht leicht zu bewältigen ist. Und diese Gratwanderung kannst du nur mit dir selber ausmachen: Dass du Gelassenheit entwickelst, für dich zu wissen, wann ein Anruf notwendig ist, und wann die Dinge schon von ganz alleine zu dir kommen. Aber wenn man frisch im Beruf ist, bleibt es leider nicht aus, auf sich aufmerksam machen zu müssen.

Eine frühere Fassung des Interviews findet sich neben vielen anderen erhellenden Gesprächen und Informationen im Buch “Überleben im Darsteller-Dschungel”

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Mathias Kopetzki