Was will ich überhaupt vom Schauspielerberuf?

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Künstlerberaterin Alina Gause über nachhaltige Karrieren, das Klischee des verrückten Künstlers und warum es wichtig ist, alle Persönlichkeitsanteile gleichwertig zu behandeln.

Alina, was ist der Kernkonflikt, dem speziell Schauspieler in ihrem Beruf psychologisch ausgesetzt sind?

Schauspieler sind stärker als viele andere Künstler damit beschäftigt, eine Quadratur des Kreises hinzubekommen: sich ungeschützt, in all ihrer Verletzlichkeit, ihrer Sensibilität, mit ihrer Persönlichkeit zu zeigen und sich gleichzeitig vor schädlichen Einflüssen zu schützen. Den richtigen Moment zu erkennen, in dem man «aufmachen» muss, sich aber auch zuzubilligen, dass man diesen Zustand nicht ständig aufrecht erhalten kann – da einen das unter Umständen ausbrennt oder zu vielen Verletzungen aussetzt. Es ist ein ziemlicher Spagat: einerseits schonend mit den eigenen Gefühlen umzugehen und andererseits diejenigen abrufbar zu haben, die für die Rolle notwendig sind. Das sind, psychologisch betrachtet, ganz unterschiedliche Bewusstseinszustände. Es sind jeweils andere Gehirnwindungen aktiv.

Deine Diplomarbeit trägt den Titel: «Künstler im Spannungsfeld zwischen Beruf und Berufung ».Was genau fandest du durchs Psychologie-Studium diesbezüglich heraus?

Das Psychologiestudium vermittelte mir den wissenschaftlichen Background dafür, die psychologischen Strukturen im Künstlermetier besser verstehen zu können. Es gab mir Werkzeuge an die Hand, zu begreifen, warum ich damals beruflich so unglücklich war, warum der Beruf so ist, wie er ist und warum es so viele ungeschriebene Gesetze gibt. Themen wie Macht, Erfolg, Scham, Angst, Kritik hatte ich bisher intuitiv aufgenommen und konnte sie nun übergreifend einordnen.

Kannst du Beispiele nennen?

Da gibt es zum Beispiel das Klischee des «verrückten Künstlers». Das spielt in meiner Diplomarbeit eine große Rolle. Ich habe mich gefragt, warum in der Gesellschaft die Sichtweise so verbreitet ist, dass Künstler verrückt seien oder labil. Ich fand heraus, dass es zu diesem Thema keine Daten gibt, also fast gar nicht geforscht wurde. Was wiederum bedeutet, dass diese These erst einmal nichts als eine Behauptung ist. Künstler nehmen allerdings dieses Klischee, das vorwiegend von außen kommt, häufig selbst an, weil sie es mit etwas in sich verbinden können. Ich dagegen stellte fest, dass diese Sichtweise überhaupt keinen Sinn ergibt. Zu Spiel, Tanz und Musik ist viel geforscht worden, und zwar mit dem fast einhelligen Ergebnis, dass das alles gesundheitsfördernde Wirkung hat. Wie also hängt dies mit der These der «Verrücktheit» zusammen? Ich sah genauer hin und verstand, dass kreative Persönlichkeiten auf eine bestimmte Art ticken. Zu gestalten, die eigenen Gefühle, Geschichten und Gedanken auszudrücken, ist für sie ein Grundbedürfnis, dem sie intensiv nachgehen. Und das ist zunächst einmal gesund, auch wenn es für die Außenwelt nicht unbedingt so aussieht. Kreative sind häufig freigiebiger mit ihrem Gefühlsausdruck – man sieht sie schneller weinen, schreien, lachen und trauern – und meint infolgedessen: Die haben ein größeres Problem. Das haben sie aber möglicherweise nicht. Sie haben sogar möglicherweise ein kleineres Problem als diejenigen, die all diese Gefühle nicht zeigen. Die Psychologie würde sie «affektiv sehr schwin- gungsfähig» nennen, und das wird durch die künstlerische Ausbildung natürlich noch einmal befördert. Aber schon während der Ausbildung und erst recht danach treffen diese «schwingungsfähigen» Persönlichkeiten auf ein spezielles Arbeitsfeld. Damit fangen die Probleme an.

Die Probleme?

Ja. Das größte Problem ist die Enge des Marktes. Das Klischee des «verrückten Künstlers» hat vor allem damit zu tun. Denn in erster Linie müssen Künstler Aufmerksamkeit bekommen! Wenn wir nicht gegen die Wohnzimmerwand spielen wollen, brauchen wir Publikum. Und der erste Schritt zum Publikum funktioniert über Aufmerksamkeit. Und alles, was auch nur ein bisschen außerhalb der Norm ist, erregt unsere Aufmerksamkeit. Insofern ist es in diesem Beruf nicht unbedingt förderlich, zu sagen: «Ich bin total normal.» Da ich als Künstler mein eigenes Produkt bin, muss ich immer wieder beweisen, dass es sich lohnt, mich zu hören oder anzuschauen. Mir hat mal eine Schauspielerin in der Beratung gesagt: «Ich bin so uninteressant! Ich rauche nicht, trinke nicht, ziehe nicht um die Häuser, ernähre mich gesund. Sind andere erfolgreicher, weil sie das Gegenteil machen?»

Ein weiteres Problem ist, dass Künstler oft von Nichtkünstlern verwaltet werden. Da begegnen sich zwei Welten, die sich gegebenenfalls einfach nicht verstehen. Zum Beispiel begreifen viele Menschen, die in kunstfernen Bereichen arbeiten, nicht, weshalb in einer Probe unbedingt Ruhe sein muss. Künstlerische Arbeit braucht einen sehr großen Schutzraum, damit Künstler über Grenzen gehen, eventuell Scham überwinden können. Eine tolle Arbeit zeichnet sich in der Regel genau durch diesen Schutzraum aus. Aber das wirkt für Außenstehende oft übertrieben!

Was sind die häufigsten Probleme, mit denen Künstler an dich herantreten?

Oft kommen Leute zu mir mit Fragen wie: «Bin ich überhaupt ein Künstler? Soll ich das weiter machen? Oder mache ich es nur, um meinen Eltern zu gefallen? Bin ich gut, bin ich schlecht? Wie bekomme ich mein Inneres nach außen?» Es geht um Ängste, Lampenfieber, Scham, also sehr Psychologisches. Bis hin zu Fragen zum Material oder der Nutzung des Netzwerks – also eher Karrierespezifisches. Bekanntere Künstler, die bei mir sind, treiben oft andere Fragen um. Zum Beispiel, dass sie gerne für anderes wahrgenommen werden wollen, als für das, womit

sie Erfolg haben. Darüber hinaus habe ich sehr viel damit zu tun, dass Künstler sich nicht trauen, ihre eigenen, individuellen Wege zu gehen, die vielleicht abseits von dem sind, was sie die Schauspielschule oder irgendein Klischee mal über diesen Beruf gelehrt hat. Denn so etwas lässt sich mitunter sehr schwer ablegen. Zum Beispiel Leitsätze wie: «Spielst du noch oder liest du schon?», die implizieren, dass nur Schauspieler, die keine Engagements mehr erhalten, sich mit Lesungen oder selbstgemachten Programmen über Wasser halten. Meine Klienten fragen sich dann: «Habe ich in meinem Beruf versagt, weil ich viel lieber Lesungen halte, als zu spielen? Oder gerne unterrichte?» Dabei geht es in diesem Beruf doch vor allem darum, seinen eigenen Weg zu gehen, sein eigenes Paket zu packen! Und genau das ist es, was ich hier mit den Leuten tue: Ich versuche ihnen neue Wege aufzuzeigen, sich den eigenen Platz auf dem Markt zu erobern – Wege, die ihrer Persönlichkeit entsprechen.

Die häufigsten Fragen, die die meisten, die zu mir kommen, umtreiben, sind: «Wie schaffe ich es, meinen eigenen Künstler, der jetzt zu meinem Beruf geworden ist, berufstauglich zu machen? Sodass er mich existenziell absichert, ich meine kreative Seele aber dennoch füttere?» Oder: «Was hält mich eigentlich davon ab, etwas für meinen beruflichen Erfolg zu tun? Habe ich vielleicht so etwas wie Angst vor Erfolg? Angst, meine eigene Kreativität auszuleben?»

Wie gehst im Hinblick auf solche Fragen vor?

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Mathias Kopetzki