Wer sind sie eigentlich, die Entscheidungsträger bei Film und Fernsehen?

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Star-Regisseur ANDRÉ ERKAU (“Das Leben ist nichts für Feiglinge”, “Happy Burnout”) über ungeschminkte Castings, die Wichtigkeit von Drehbüchern und warum er sich am Set als Gastgeber einer Party sieht

André, wenn man deine Filme sieht, dann strahlen sie viel Humor aus, und die Schauspieler wirken ausgesprochen frei. Wie bekommst du diese Freiheit hin?

Ich begreife mich am Set – metaphorisch gesprochen – als Gastgeber einer Party, kümmere mich um Fragen wie: Sind die Leute gut drauf? Läuft hier die richtige Musik oder muss ich sie ändern? Haben alle was zu trinken? Nicht nur für die Schauspieler, sondern fürs gesamte Team muss in meinen Augen jemand die Verantwortung übernehmen, dass sich alle wohlfühlen. Denn wenn die Leute sich wohlfühlen, sind sie freier in ihrer Arbeit, sind mit mehr Spaß dabei. Und dadurch ist man häufig auch schneller! Ängste stehen einem ja oft im Weg. Wer in entspannter Atmosphäre spielerisch rumprobieren kann, ist oft eher am Ziel!

Wie sollte sich ein noch unbekannter Schauspieler mit wenig Dreherfahrung deiner Meinung nach präsentieren, um von dir und den Castern überhaupt wahrgenommen zu werden?

Ich finde es zum Beispiel super, wenn Frauen ungeschminkt – oder nahezu ungeschminkt – zum Casting erscheinen. Ich mag es gerne pur, bekomme am liebsten den Menschen mit, wie er wirklich ist. Schauspieler haben oft den Irrglauben, Entertainer sein zu müssen. Und ich als Regisseur bin dankbar, wenn jemand bei sich und im Moment ist, und nicht irgendetwas präsentiert. So etwas kann man manchmal auch schon in Demotapes, vielleicht auch bei Fotos sehen.

Wie sieht ein Casting bei dir aus?

Naja, beim Casting möchte ich jemanden kennenlernen. Und wenn ich jemanden kennenlernen möchte – im Leben oder halt beim Casting – nehme ich mich selber etwas zurück und schaue mir mein Gegenüber an. Natürlich habe ich mich im Vorfeld mit dem Buch beschäftigt, eine Haltung zu der Geschichte und den Figuren entwickelt, aber das ist in dem Moment nicht so wichtig. Schließich geht es beim Casting nicht um die Umsetzung meiner Vision, sondern um mein Gegenüber. Wie sieht er die Figur? Welche Energie bringt er mit? Wie reagiert er auf meine Anregungen? Das ist ein bisschen wie Ping Pong spielen. Man reagiert auf ein “Ping”, mit einem “Pong” schlägt man gemeinsam den Ball hin und her und erreicht auf einmal Orte, die man alleine nicht erreicht hätte. Das ist ein Geschenk! Und jeder, der glaubt, am Anfang einer Reise bereits alles, beziehungsweise das meiste, zu wissen, bringt sich um eine große Chance. Klar, je größer die Projekte werden, umso größer wird der Druck. Und umso größer wird die Gefahr, dass Schauspieler – aber auch Regisseure – glauben, sie müssten einen auf dicke Hose machen. Aber genau das wäre das Ende von allem. Deshalb, und daran glaube ich fest, sollte man jeglichem Druck zum Trotz versuchen, offen und verletzlich zu bleiben – es ist die einzige Möglichkeit, zu berühren und berührt zu werden.

Erhältst du die Filmaufträge von den Produzenten oder schlägst du selber Drehbücher oder Stoffe vor?

Das läuft mal so, mal so. Oft werden mir Projekte angeboten. Da ich aber selber Stoffe entwickle und Drehbücher schreibe, gehe ich manchmal auch auf Produktionsfirmen zu. Und dann schauen wir gemeinsam, ob und wie die Reise weitergehen könnte. Ich bin sehr froh, dass mir das Schreiben großen Spaß macht. Durch meine Drehbucharbeit bin ich weniger von Angeboten von außen abhängig und kann zudem sehr persönliche Filme entwickeln. Ich glaube, das spürt man. Und selbst bei Projekten bei denen ich nicht schreibe, versuche ich sehr eng mit dem Autoren beziehungsweise der Autorin zusammenzuarbeiten und quasi als Sparringspartner den Entstehungsprozess des Buches zu begleiten. Das ist manchmal sehr kräftezehrend, aber ich denke, dass am Ende alle davon profitieren, wenn ich spätestens bei Drehbeginn weiß, was ich in jeder einzelnen Sekunde der Handlung erzählen möchte.

Wotan Wilke Möhring, Anke Engelke, Til Schweiger, Heike Makatsch, Dieter Hallervorden, Veronica Ferres: Wie kommt man an solche Stars? Ist es die Story? Dein Renommee?

Billy Wilder hat mal gesagt, dass man für einen guten Film drei Dinge braucht. Ein gutes Drehbuch, ein gutes Drehbuch und ein gutes Drehbuch. Ich will damit sagen: Wenn man ein gutes Drehbuch hat, spielen die Stars mit. Wenn man kein gutes Drehbuch hat, spielen sie nicht mit. Da sollte man seine Strahlkraft als Regisseur nicht überschäzen. Gut, mittlerweile mögen einige bekannte Schauspieler meine Art zu arbeiten und/oder ihnen gefallen meine Filme, sodass sie möglicherweise die Drehbücher, die man ihnen schickt, schneller lesen. Das ist sicherlich ein Vorteil. Aber, wie bereits gesagt, wenn die Geschichten und Rollen nicht überzeugen, kommt es zu keiner Zusammenarbeit. Egal wer Regie macht.

Castest du ansonsten viel vom Band oder hast du vielleicht schon in der Vorbereitung Vorstellungen, wen du besetzen möchtest?

Das komplette Interview mit André Erkau findet sich in meinem Buch “Überleben im Darsteller-Dschungel - Wegweiser für freischaffende SchauspielerInnen”

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Mathias Kopetzki